Autor: Hartmut Geißler
unter Benutzung von Saalwächter, Andreas in: BIG 9 (1958) und BIG 13 (1962)
Fotos: Hist. Verein und Geißler
Schon in römischer Zeit war die Stelle unterhalb der Selzmündung besiedelt, wie aus Grabfunden jener Zeit deutlich wird. Denn sie war sowohl für Fährtätigkeit zur anderen Rheinseite als zum Anlanden von Holzflößen geeignet.
Mit wachsender Bedeutung der Ingelheimer Pfalz und des Weinhandels wurde auch Weinheim als Hafenort für die Pfalz und die Winzer im Ingelheimer Grund wichtiger:
- Hohe Gäste kamen hier im flachen Hafen des Ufergeländes an,
- Waren, vor allem Bauholz für die Pfalz, wurden hier umgeladen,
- Abgaben (Wein) für auswärtige Zehntherren (z. B. Hersfeld) wurden hier verschifft und
- außerdem hatten die Weinheimer das Monopol für den Fährbetrieb über den Rhein hinüber auf die andere Rheinseite.
Zum Fährdienst waren die Weinheimer in Kurpfälzer Zeit (etwa 1400 - 1800) in einer Fährgenossenschaft zusammengeschlossen und verpflichtet. Wohl weil die Weinhandelskaufleute besondere Schutzrechte und die Frei-Weinheimer einige Abgabenfreiheiten genossen, bürgerte sich seit dem 16. Jahrhundert die Vorsilbe "Frei-" ein, gewiss auch zur Unterscheidung von anderen Kurpfälzer Orten desselben Namens.
Die kirchlichen Zustände in der Frei-Weinheimer Gemeinde in der Zeit vor der Reformation sind noch wenig aufgehellt. Einige Aufklärung gibt die Verleihung des Eigens (eine Flur; Gs) zu Frei-Weinheim im Jahre 1457, die an die Zustimmung des Mainzer St. Stephanstiftes gebunden war. Es folgt daraus ein Mitbestimmungsrecht des Stiftes in kirchlichen Dingen der Gemeinde. Die Erklärung dafür ist leicht. Das St. Stephansstift zu Mainz war als Zehntherrin an der Pfarrkirche zu Nieder-Ingelheim bau- und unterhaltungspflichtig; Frei-Weinheim aber war ein Filial dieser Kirche...
Wenig mehr kann für das Zeitalter der Reformationund ihre Durchführung in und um Ingelheim gesagt werden. Wir kennen zwar die allgemeinen Erlasse der kurpfälzischen Regierung, aber keine örtlichen Schilderungen über die Anteilnahme der Bevölkerung, die der Darstellung jener Ereignisse Farbe geben würden (Saalwächter BIG 9, S. 83).
Die Reformation im 16. Jahrhundert ging deswegen für Frei-Weinheim von Nieder-Ingelheim aus. Wie sie durchgeführt wurde und auf welches Echo sie bei Bevölkerung stieß, darüber sind keine Quellen erhalten.
Weil Frei-Weinheim auch danach bis 1690 kirchlich zu Nieder-Ingelheim gehörte, lief man zur Taufe, Eheschließung und zum sonntäglichen Gottesdienst auf dem diagonalen "Kirchweg" an der Neumühle vorbei nach Nieder-Ingelheim. Ein Stück davon ist am rechten Rand der Informationstafel über die historischen Stationen (siehe unten) zu sehen: Er verlief ursprünglich südlich des Friedhofes - heute nach dessen Erweiterung hindurch - schräg in Richtung Nieder-Ingelheim.
Die bisher mit den Reformierten in Nieder-Ingelheim bestehende Gemeinschaft wurde 1690 abgeändert; seitdem übernahm der reformierte Pfarrer von Ober-Ingelheim auch die Betreuung der kleinen reformierten Gemeinde in Frei-Weinheim. Diese Verbindung blieb bis ins 20. Jahrhundert bestehen. Saalwächter beschreibt in BIG 9, S. 86 f. anhand des Hausbuches des reformierten Ober-Ingelheimer Pfarrers Arcularius die Gründe und den Wechsel. Vor 1690 mussten die Reformierten von Frei-Weinheim stets nach Nieder-Ingelheim in die (Remigius-) Kirche laufen. Nur alle zwei Wochen kam dienstags der reformierte Pfarrer einmal nach Frei-Weinheim. Nach 1690 hielt der Pfarrer Arcularius jeden zweiten Sonntag Gottesdienst in Frei-Weinheim.
Zur Privilegienurkunde von 1493
Von 1709 bis zur französischen Zeit führte das Frei-Weinheimer Gericht ein Siegel mit dem Kirchenpatron St. Michael. Ein eigenes Wappen, wie es sich in heutigen Darstellungen bisweilen findet, ist historisch nicht nachweisbar. - Zum Dorfsiegel von 1709
Bevölkerungszahlen und Konfessionsverteilung nach Saalwächter (BIG 9, S. 76):
1703 - 25 Ortsbürger (also wohl Haushaltsvorstände, nicht gerechnet ihre Frauen, Kinder, Gesinde), sodass die Einwohnerzahl damals im niedrigen dreistelligen Bereich gelegen haben dürfte
1787 - 220 "Seelen" (also alle Einwohner)
1815 - 192 "Seelen"
1857 - 660 Einwohner in 120 Familien und 110 Häusern (390 Katholiken und 270 Evangelische)
1905 - 838 Einwohner (590 Katholiken, 234 Protestanten, 14 andere)
Existenzgrundlage nach Saalwächter (BIG 9, S. 76):
Die Lage des Ortes verwies die Bevölkerung vorwiegend auf Gewerbe im Dienste des Handels. Schifferei, Fischfang und Eisbruch waren Hauptgewerbe, Ackerbau und Viehzucht nur Nebengewerbe. Der Boden der Gemarkung, der größtenteils aus Moorgrund und Sand besteht, war in den Zeiten der Dreifelderwirtschaft nicht zur Viehweide, geschweige zum Körnerbau ausreichend. Der Haupterwerbszweig der mittelalterlichen Ortsbevölkerung war der Rheinhandel, dem der Ort seine Entstehung verdankt. Die Darstellung der von ihm ernährten Berufe rankt sich um Fahr und Kranen. Eine späte Erscheinung des Rheinhandels war die Errichtung eines Wein- und Getreidemarktes zu Frei-Weinheim (1700).
Großgrundbesitz in der Frei-Weinheimer Gemarkung hatten im 18. Jahrhundert nach Saalwächter (BIG 9, S. 75) die Herren von Greiffenclau, die gegenüber im Rheingau ihre Stammburg besaßen, die Klöster Gottesthal im Rheingau und Jakobsberg, die Jesuitenmission in Nieder-Ingelheim, das Mainzer Noviziat und das "Mainzer Kollegium". Dass sich somit im 18. Jahrhundert, einer Zeit verstärkter Rekatholisierungsbemühungen, ein Großteil des Weinheimer Grundbesitzes in den Händen katholischer Eigentümer befand, könnte einen Erklärungsansatz dafür bieten, dass sich in Frei-Weinheim (ähnlich wie in Sporkenheim, aber anders als in Nieder- und Ober-Ingelheim) wieder eine Mehrheit von katholischen Einwohnern bildete, die bis ins 20. Jahrhundert fortbestand, denn die auf den Gütern der Herrschaften Arbeitenden folgten in aller Regel der Konfession ihrer Herren.
Verwaltung und Rechtspflege:
Der Ort hatte zwar einen eigenen (Unter-) Schultheißen, aber bis 1680 kein Gericht. Juristisch zuständig war bis dahin das Gericht in Nieder-Ingelheim. Die Nieder-Ingelheimer Verwaltung half auch bei denjenigen Tätigkeiten aus, für die die Einwohner von Frei-Weinheim keine eigenen Spezialisten hatten, Feldmesser, Steinsetzer, Eichtätigkeiten. Vom ungebotenen Ding in Nieder-Ingelheim haben sie sich freigehalten. Auch vom Dienst in der kurpfälzischen Landmiliz waren sie freigestellt.
Nach dem Schultheißen war das wichtigste Amt in Frei-Weinheim das Amt zweier jährlich neu gewählten und vereidigten Schützen, die nicht nur Polizeifunktion hatten und als Feldschützen dienten, sondern vor allem auch als Deichwache. Außerdem gab es gewählte Kirchenälteste, Almosenpfleger sowie die Segelmeister, die die Aufsicht über Hafen und Kran führten.
Finanzsituation:
Saalwächter (BIG 9, S. 80 f.) hat die Einnahme und Ausgaben von 1718 abgedruckt (838 bzw. 790 Gulden). In den 1760er Jahren musste sich die Gemeinde mehrfach stark verschulden.
Eine Bedeutung wie Nieder- oder Ober-Ingelheim erlangte Weinheim nicht, es blieb ein kleiner Hafenort des Ingelheimer Grundes, weil insgesamt sein Schiffsverkehr im Vergleich mit der Rheingauseite zu unbedeutend war. Das hat geologische Gründe, denn während auf der Nordseite des Rheines die Rheingauberge liegen und der Rhein dadurch ein relativ steiles Ufer bildet, ist das Ufer auf der Südseite bei Weinheim sehr flach, wodurch die Wasserkante bei wechselnden Wasserständen (Hochwässer!) sehr unterschiedlich weit ins Land hineinragt. Das erschwert natürlich das Treideln und schon die Anlage und Erhaltung eines Treidelpfades ungemein. Also war die normale Treidelstrecke die Rheingauseite, auch wenn Weinheim Treidelrechte hatte.
Einen durch Menschen angetriebenen Verladekran gab es vom Mittelalter bis ca. 1700, danach zweihundert Jahre nicht mehr.
Der Weinheimer Gemeindefriedhof wurde 1841 anstelle der bisherigen Kirchhöfe angelegt und in den letzten Jahren zum Hauptfriedhof für ganz Ingelheim (In den Frenzen 21) erweitert, weil die Friedhöfe von Nieder- und Ober-Ingelheim an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit von Erdgräbern gelangt waren. Vom alten Friedhof erhalten ist im neuen Teil noch ein Kreuz mit dem Gekreuzigten, das die Witwe Johanna Kling auf dem Grab ihrer Mutter hatte aufstellen lassen.
Erst mit dem Beginn der Industrialisierung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts änderte sich die Bedeutung des Hafens: Der Hafen wurde ausgebaut, bekam einen Dampfkran, später elektrische Kräne und sogar einen Eisenbahnanschluss durch die Selztalbahn. Der Ort selbst wuchs enorm durch Industrieansiedlung und Wohnungsbau, so dass mittlerweile entlang der Rheinstraße eine fast durchgängige Bebauung bis Nieder-Ingelheim entstanden ist.
In den letzten Jahrzehnten hat die wirtschaftliche Bedeutung des Hafens wieder abgenommen und das Hafengelände dient - abgesehen von der wichtigen Fähre - vornehmlich zu Freizeitzwecken.
Der historische Rundgang mit seinen Stationsziffern markiert den alten Ortskern, das rosa gefärbte Gebiet zeigt die heutige Bebauung (Stand: 2007) bis zur Einmündung der Konrad-Adenauer-Straße in die Rheinstraße (unten).
Auch auf zwei alten Landkarten dieses Rheinabschnittes aus dem 16. Jahrhundert (im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden) kann man die geringe Größe des Ortes erkennen:
1. 1573 vom Rheingau auf Ingelheim blickend, koloriert:
Links der Blick vom Rheingau her das Selztal hinauf (stark überhöht) mit Ober-Ingelheim am Rand, überschrieben mit "Ingelheimer Grund"; in der Mitte der Ingelheimer Galgen, rechts am Rand Gau-Algesheim.
Bei Weinheim sind nur wenige Häuser eingezeichnet; außerdem ein Fährnachen und ein Schwimmkran.
2. Blick über "Frey-Weinhaim" hinweg zum Rheingau nach Winkel und Mittelheim aus der Rheingau-Karte von 1575, schwarz-weiß:
Am unteren Rand die wenigen Häuser von Frei-Weinheim; gegenüber: Johannisberg, Winkel(len), Mitteln (=Mittelheim) und Östrich.
Im Rhein verschiedene Inseln ("Auen"), deren nach jedem Hochwasser wechselnde Formen immer wieder Anlass zu handfesten, bisweilen bewaffneten Streitigkeiten zwischen den kurmainzischen und kurpfälzischen Anwohnern (Schiffern und Fischern) auf beiden Seiten des Rheines gaben. Man stritt sich u. a. um die Weiden(ruten), die auf den Inseln wuchsen und die man zum Binden der Reben brauchte, und um das Recht zum Eisbrechen im Winter, um durch die Löcher zu fischen.
Ihre Zugehörigkeit in einer Schlichtungskommission zu klären, war der Anlass für die Erstellung beider Karten.
Auch wenn die geringe Häuserzahl beider Karten eine Vereinfachung darstellt, so fällt doch auf, dass es anscheinend zu jener Zeit keinen festen Verladekran an Land gegeben hat, sondern auf beiden Karten wurde von verschiedenen Autoren stattdessen neben dem Fährnachen ein Schwimmkran (im Bild oben beschriftet mit "Weinheimer Cran") eingezeichnet, der sich freilich den wechselnden Wasserständen an einem sehr flachen Ufer besser anpassen konnte als ein ortsfester Kran. Groß war der Ort im 16. Jahrhundert jedenfalls nicht. Dies blieb bis ins 19. Jahrhundert so.
3. Frei-Weinheim des Jahres 1824 aus der "Karte des Rheinstromes"
Die Selz mündete nach Saalwächter, BIG 13, S. 134, ursprünglich nördlich der Neumühle in den Rhein, also oberhalb der Jungau. Ihre Mündung wurde aber 1849 zur Fährstelle hin verlegt, also unterhalb der Jungau, um einen kleinen Winterhafen für Flöße zu gewinnen, parallel zum Deich, rechts neben der heutigen Molenzufahrt in den Rhein (rot umrandet), da wo heute die Fußwege von der Rheinstraße auf das Gelände der Jungau führen und der Spielplatz liegt. Als dieses Bett versumpfte, wurde es verfüllt und der Bach oberhalb des Dorfes am sog. "Schlunk" in den Rhein geleitet.
Im ganzen 19. Jahrhundert gab es wie schon im 18. keinen Kran in Frei-Weinheim.