Autor: Hartmut Geißler
nach Hellriegel 1973 und
Hellriegel 1978 (=BIG 28)
Die spätmittelalterliche Befestigungsanlage umschloss den gesamten damals nur locker besiedelten alten Ort (siehe Karte unten, gelb markiert) und bestand aus Ringmauer, Wehrgraben und undurchdringlichem Ulmendickicht („Effengraben“). Hellriegel schätzt die Zeit ihrer Erbauung auf "um das Jahr 1300". Ihre bislang früheste Erwähnung findet sich in einem Ingelheimer Kopiar, wo zum Jahr 1384 ein Hof bei der waßemporten erwähnt wird (Krämer, Regesten, S. 119).
Sie hatte drei Tore, die wie in Ober-Ingelheim stets "Pforten" genannt wurden:
- die "Wasempforte" in Richtung Schwabenheim, die etwa zwischen Pacciushaus und der ersten reformierten Kirche, dem Feuerwehrhaus, lag. Ihren Namen hatte sie von dem Schindanger ("Wasen"!) davor, wo Tiere gehäutet und ihre nicht verwertbare Reste vergraben wurden; der Lautwandel von -n zu -m kommt durch das folgende P zustande;
- die "T(h)alpforte", die am oberen Ortsende im Hohlweg hinauf in Richtung Mainz lag;
- die "Niederpforte" (auch "Gassenpforte"), die am unteren Ende der heutigen Obentrautstraße lag, wo die Straße den Flutgraben überquert; vor dem Bau der Grundstraße ca. 1830 führte der Weg nach Ober-Ingelheim weiter unten parallel zur Selz, weshalb die damalige "Gasse", die Obentrautstraße, also durch das Tor weiter geradeaus nach unten in Richtung Selz verlief.
Mindestens die Niederpforte war auch bewohnt, alle drei Pforten hatten bezahlte Pförtner für das tägliche Auf- und Zuschließen. Von Zöllnern ist in Großwinternheim nichts bekannt, der Ort wird auch nicht im "Reutlingerbericht" von 1587 erwähnt, in dem die Pfälzer Zollstellen aufgezählt werden.
In der französischen Zeit wurden die drei Tore 1807 an den Bürgermeister Paul Zilluff und Meyer Hirsch versteigert und wahrscheinlich bald danach abgerissen.
Den Verteidigungswert dieser Ortsbefestigung schätzte Hellriegel 1973 so ein:
Die unbedeutende Tiefe des Graben vor allem oberhalb des Dorfes, läßt den Schluß zu, daß die Befestigung Großwinternheims nicht für eine ernsthafte Verteidigung gedacht war. Tatsächlich hören wir nie etwas von einer Belagerung der Gemeinde. Vom Berg her ist das Dorf einfach nicht zu schützen. In der pfälzisch-lothringischen Fehde 1668 zogen es die meisten Bewohner Großwinternheims vor zu flüchten... Die Bewohner hatten das Gefühl der Sicherheit, wenn die schweren Tore des Nachts geschlossen waren. Keine Wölfe konnten zur Winterszeit ins Dorf eindringen, marodierenden Soldaten, Landstreichern und 'Heiden‘ (womit möglicherweise Aachenpilger aus Ungarn gemeint sein können) war der Zutritt zum Dorf, das sich zurecht als Stadt fühlen konnte, verwehrt.
Ein Bericht der Ortsverwaltung von 1882 (StA Ing. Rep. GW/130) beschreibt die Ortsbefestigung und ihr Schicksal im 19. Jahrhundert:
„Der ganze Ort war mit einer Befestigungsmauer ohne Wehrgang (der aufrecht stehende Wehrmauerrest im Norden zeigt aber die Reste eines Wehrganges; Gs) umgeben, welche von Befestigungstürmen unterbrochen war, letztere sind in Wohnhäuser umgewandelt, von der Mauer sind namentlich auf der Nordseite beträchtliche Reste übrig. Der Ort hatte befestigte Tore ohne Türme mit Torwohnung, welche vor ungefähr 45 Jahren (also ca. 1837) abgebrochen wurden; auf der Nord und Ostseite schließt sich an die Mauer ein tiefer Flutgraben, ohne Wall mit Effen bepflanzt, derselbe ist durch wiederholte Wasserfluten stark ausgehöhlt.“
Die heutige Durchgangsstraße, die Schwabenheimer Straße, verläuft unterhalb des westlichen Graben- und Mauersystems.
Gs, erstmals 25.10.20; Stand: 01.08.22